Nürnberger Kriegsverbrecherprozess

Nürnberger Kriegsverbrecherprozess
Nürnberger Kriegsverbrecherprozess
 
In der Moskauer Dreimächteerklärung vom 30. Oktober 1943 hatten die USA, Großbritannien und die Sowjetunion die Bestrafung von Kriegsverbrechern angekündigt und gemeinsam mit Frankreich am 8. August 1945 im Londoner Abkommen die Einrichtung eines Internationalen Militärgerichtshofes beschlossen, der mit Vertretern dieser vier Mächte besetzt wurde. Am 18. Oktober 1945 wurde gegen 22 als Hauptkriegsverbrecher eingestufte führende Nationalsozialisten aus Partei, Staat und Wehrmacht Anklage erhoben. Der Prozess begann am 20. November 1945 in Nürnberg, der Stadt der nationalsozialistischen Reichsparteitage, und endete am 1. Oktober 1946 mit der Verkündung der Urteile.
 
Die Berichte über den Prozess beschäftigten ein Jahr lang die Medien in aller Welt. Die von Beginn an auf Krieg zielende Aggressionspolitik Hitlers wurde Gegenstand der Verhandlungen. Das ganze Ausmaß der von den Deutschen begangenen Verbrechen, insbesondere der mit bürokratischer Perfektion durchgeführte Massenmord an den europäischen Juden, wurde nun offenbar und rief in der Welt Entsetzen und Abscheu hervor.
 
Die drei Hauptanklagepunkte waren: Verbrechen gegen den Frieden (Planung, Vorbereitung, Einleitung oder Führung eines Angriffskrieges); Kriegsverbrechen (Verletzungen des Kriegsrechts und des Völkerrechts); Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Ermordung, Ausrottung, Versklavung, Verschleppung oder andere unmenschliche Handlungen an der Zivilbevölkerung oder Verfolgung aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen).
 
Adolf Hitler, Propagandaminister Joseph Goebbels und der »Reichsführer SS und Chef der deutschen Polizei«, Heinrich Himmler, hatten sich der Anklage bereits durch Selbstmord in den letzten Kriegstagen bzw. nach der Gefangennahme entzogen. Von den 22 Angeklagten dieses ersten Kriegsverbrecherprozesses wurden zwölf zum Tode durch den Strang verurteilt, darunter Ribbentrop, Keitel, Frank (ehemaliger »Generalgouverneur« in Polen) und Sauckel, der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz; zehn Todesurteile wurden am 15. Oktober 1946 vollstreckt. Reichsmarschall Hermann Göring entzog sich der Hinrichtung durch Einnahme von Gift. Der ehemalige Leiter der Parteikanzlei, Martin Bormann, wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Sieben Angeklagte erhielten Freiheitsstrafen von zehn Jahren bis lebenslänglich, von denen die meisten jedoch recht bald in den Fünfzigerjahren wieder auf freien Fuß gelangten; drei Angeklagte wurden freigesprochen, darunter von Papen, als vorletzter Reichskanzler der Weimarer Republik einer der »Steigbügelhalter« Hitlers.
 
Der Gerichtshof erklärte das Führerkorps der NSDAP, die SS, den Sicherheitsdienst und die Geheime Staatspolizei (Gestapo) zu verbrecherischen Organisationen. Neben dem Hauptprozess vor dem Internationalen Militärgerichtshof gab es eine Reihe von Nachfolgeprozessen, zum Teil ebenfalls in Nürnberg, bei denen bestimmte politische, militärische und wirtschaftliche Führungsgruppen und auch Berufsgruppen (Ärzte) im Mittelpunkt der Anklage standen. Geahndet wurden u. a. die Verfolgung der Juden sowie der politischen Gegner des Regimes durch die deutsche Justiz, die Deportation ausländischer Zwangsarbeiter in deutsche Rüstungsbetriebe, die medizinischen Versuche an KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen, die Gewalttaten und Morde in den KZ sowie die Verbrechen der berüchtigten Einsatzgruppen in den besetzten Gebieten.
 
Die Kriegsverbrecherprozesse haben viel zur internationalen Weiterentwicklung des Völkerrechts beigetragen, doch ihre Wirkung auf die Entnazifizierung in Deutschland ist umstritten. Problematisch war das Moment der Siegerjustiz (deutsche Richter waren nicht vertreten, ausschließlich deutsche Kriegsverbrechen wurden verhandelt), und die moralische Legitimation wurde dadurch gefährdet, dass der ehemalige Vertragspartner der Deutschen, die Sowjetunion, nun mit zu Gericht saß und überdies das geheime Zusatzprotokoll des Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspaktes als Beweismittel ablehnte.

Universal-Lexikon. 2012.

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